Um Ihnen den Ablauf einer Zahnkorrektur möglichst einfach erklären zu können, werde ich dies anhand eines fiktiven Beispiels tun:
Heute steht die Zahnkorrektur des Kanichens Mümmel von Frau Hase an. Mümmel ist 3 Jahre alt, wurde erstmals vorgestellt wegen Futterverweigerung und Durchfall. In der allgemeinen Untersuchung ist mir aufgefallen, dass sich an den Backenzähnen von Mümmel scharfkantige Spitzen zur Zunge hin gebildet haben, die zu einer Verletzung der Schleimhaut geführt haben.
Mümmel hat Zuhause einen Entzündungshemmer bekommen, dem ihm seine Besitzerin am Morgen verabreicht hat, bevor sie ihn zu uns gebracht hat.
In der Praxis bei uns angekommen führen wir erst einmal einen CheckUp durch, um sicherzustellen, dass Mümmel heute narkosefähig ist. Anschließend besprechen wir die Narkoserisiken und den Ablauf der Korrektur mit Frau Hase.
Bei Heimtieren ist das Narkoserisiko im Vergleich zu Hund und Katze generell erhöht. Das liegt daran, dass die Tiere sehr leicht gestresst sind und dann die Nebenwirkungen der Narkotika schneller zu Tage treten können. Außerdem befinden sich viele Heimtiere schon in einem kritischen Zustand zum Zeitpunkt der Narkose, haben nichts gefressen oder sind schon sehr schlapp.
Da Frau Hase sehr an ihrem Mümmel hängt, entschließt sie sich dafür, alle Leistungen in Anspruch zu nehmen, die das Narkoserisiko senken.
Wir bringen Mümmel also auf Station. Er wird in eine vorgewärmte Box gesetzt, mit Futterbrei gepäppelt und erhält eine warme Infusion unter die Haut.
Bis zum OP-Beginn bekommt er mehrmals Brei, denn bei den Heimtieren ist die dauerhafte Futteraufnahme besonders wichtig für eine schnelle Erholung. Das “Vorwärmen” des Kaninchens sorgt dafür, dass es während der OP nicht so schnell auskühlt, und die Infusion hilft dem Organismus bei der Verstoffwechselung der Medikamente.
Bevor Mümmel in Narkose gelegt wird, wird er in eine Sauerstoffbox gesetzt. Nach einigen Minuten bekommt er dann eine Injektionsnarkose in den Muskel.
Anders als lange vermutet, ist eine Injektionsnarkose die sicherere Art für uns und das Tier. In Relation zum Körper haben Heimtiere nämlich ein recht kleines Lungenvolumen. Das heißt, dass es schnell zu einem Sauerstoffmangel kommen kann – eine lebensbedrohliche Situation. Entlastet wird die Lunge durch die Sauerstoffsupplementierung, das Einleiten ohne Narkosegas und die spätere schräge Lagerung des Tieres.
Zusätzlich verabreichen wir ihm ein Schmerzmittel, da ich schon im wachen Zustand einige Schleimhautverletzungen erkannt habe.
Als Mümmel eingeschlafen ist, befeuchten wir seine Augen mit Augentropfen. Er wird nun schräg auf einer Wärmematte gelagert, sodass der Brustkorb höher positioniert ist. Dadurch rutscht das Darmkonvulut von der Lunge weg und es bleibt mehr Raum für Atmung.
Um die Sauerstoffsupplementierung aufrecht zu erhalten, legen wir Mümmel eine Nasensonde. So können wir in der OP eine dauerhafte Supplementierung mit warmem, angefeuchtetem Sauerstoff sicherstellen. Dadurch wird das Narkoserisiko entscheidend gesenkt! Denn das Tier enthält den lebensnotwendigen Sauerstoff direkt vor der Luftröhre. Durch die Wärme wird es zusätzlich vor dem Auskühlen geschützt.
Dann wird das Pulsoxymeter an Mümmel angeschlossen. Wir können damit die Sauerstoffsättigung und die Herzfrequenz überwachen und schnellstmöglich eingreifen, falls die Werte von der Norm abweichen.
Nun geht es an das Maul. Mit zwei Maulspreizern halten wir das Mäulchen von Mümmel offen. Maulspreizer geben etwas nach, dadurch wird der Kiefer geschont. Mümmels Köpfchen wird von meiner Kollegin gehalten.
Als erstes entferne ich alle Futterreste und beginne dann mit einer ausführlichen Untersuchung der Maulhöhle. Dabei betrachte ich jeden Abschnitt einzeln. Die Zunge von oben, unten und seitlich. Die Schleimhaut um die Schneide- und Backenzähne. Die Backen- und die innere Lippenschleimhaut. Anschließend überprüfe ich mit einer Sonde die Länge der Zähne, ob Schleimhauttaschen vorliegen, wie tief diese reichen, ob das Zahnfleisch fest am Zahn ist oder lose und ob ich in der Tiefe Futterreste finde. Ich entferne Zahnbelag in den Taschen und spüle diese, sowie jede vorhandene Schleimhautverletzung.
Wenn ich diese Befunde gesammelt habe, entscheide ich, ob ein Röntgenbild zwingend notwendig ist, oder nicht. Habe ich einen Hinweis auf ein tiefes Problem, finde ich Eiter oder einen wackelnden Zahn, schieße ich zur Sicherheit Röntgenbilder. Handelt es sich ausschließlich um einen oberflächlichen Schaden, kann eine oberflächliche Korrektur ohne Röntgenbilder ausreichen.
“Kann” – denn wie es generell in der Tiefe aussieht, bleibt mir so schlichtweg unbekannt. Beginnende Prozesse kann ich so nicht diagnostizieren! Nur mit Röntgenbildern lässt sich der Gesamtzustand beurteilen.
Bei Mümmel sieht alles gut aus. Da ich in der Maulhöhle aber einen eindeutigen Befund habe – eine tiefe Verletzung der Zungenschleimhaut aufgrund einer scharfkantigen Zahnspitze – beschließe ich bei Mümmel nur eine oberflächliche Korrektur durchzuführen.
Ich beginne die Spitzen mit einem Drehmel einzukürzen und kontrolliere dabei regelmäßig die Länge der Zähne. Sobald ich einen möglichst physiologischen Zustand wieder hergestellt habe, kontrolliere ich ein weiteres Mal alle Quadranten des Gebisses, bis ich mir sicher bin, alle Probleme erkannt und behoben zu haben.
Nun führen wir die Antagonisierung der Narkose durch. Das heißt, dass Mümmel wieder “wachgespritzt” wird. Denn der Vorteil unserer Narkose ist, dass es sich um eine vollständig antagonisierbare Anästhesie handelt.
Bis Mümmel wach wird, legen wir ihn in eine verschließbare Box. Den Sauerstoff bekommt er noch über seine Sonde. Sobald er das Köpfchen hebt, entfernen wir diese vorsichtig und lassen dann den Sauerstoff von außen in die Box fließen.
Wenn er wieder steht, wird er zurück auf Station gebracht und eine Kollegin beginnt damit, ihn zu päppeln, damit sein Kreislauf schnell in Schwung kommt.
Am Nachmittag kommt dann Frau Hase und holt ihr Kaninchen wieder ab. Mümmel ist schon wieder fit und nimmt bei uns sein Fressen gut an.
Ich hoffe anhand dieses Beispiels ist ihnen klar geworden, wodurch das Narkoserisiko gesenkt wird und weswegen wir bestimmte Leistungen durchführen.
Sie fragen sich, warum es wichtig ist, Zahnprobleme möglichst früh zu erkennen? Infos dazu finden Sie in Teil 1. Weitere Details werde ich in Teil 3 mit Ihnen durchsprechen.
Sie haben Fragen zu unserem Blog? Wenden Sie sich gerne jederzeit persönlich an unser Team. Liebe Grüße, Ihre Tierärztin Johanna Kern