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Qualzuchtmerkmal Schlappohren

Widderkaninchen: Qualzuchtmerkmal Schlappohren

Widderkaninchen gehören zu den beliebtesten Kaninchenrassen. Ihre großen, herabhängenden Ohren und der rundliche Kopf entsprechen den sogenannten Kindchenschema und wirken besonders niedlich. Doch hinter dieser Optik verbirgt sich oft ein ernstes gesundheitliches Problem: Die Zucht auf Schlappohren bringt zahlreiche Einschränkungen und Leiden mit sich, die Tierhalterinnen* kennen sollten.

Gesundheitliche Probleme durch Schlappohren

Die charakteristischen Hängeohren der Widderkaninchen sind nicht nur ein optisches Merkmal, sondern auch eine anatomische Veränderung. Der Gehörgang ist abgeknickt und deutlich enger als bei Kaninchen mit Stehohren. Dadurch wird die Belüftung stark eingeschränkt, Ohrenschmalz kann nicht richtig abfließen – ein ideales Umfeld für Bakterien und Hefepilze. Die Folge: chronische Ohrenentzündungen, die oft unentdeckt bleiben und zu Schmerzen, Hörverlust oder sogar Taubheit führen können.

Eingeschränkte Kommunikation und Wahrnehmung

Kaninchen kommunizieren stark über ihre Ohren. Ob Aggression, Neugier oder Entspannung – die Ohrstellung verrät viel über ihre Stimmung. Widderkaninchen können ihre Ohren jedoch kaum bewegen, was zu Missverständnissen in der Gruppe und damit zu sozialen Problemen führt.

Auch das Sichtfeld ist durch die hängenden Ohren eingeschränkt, was die Orientierung erschwert, und das Verletzungsrisiko erhöht.

Weitere gesundheitliche Risiken

Neben den Ohrenproblemen zeigen Studien, dass Widderkaninchen häufiger unter folgenden Aspekten leiden, als Artgenossen mit Stehohren:

  • Zahnerkrankungen (z.B. zu lange Backenzähne, Schneidezahnprobleme)
  • Abszesse am Ohransatz
  • Verdauungsstörungen
  • Geschwächtes Immunsystem

Diese Erkrankungen sind in der Praxis ohne spezielle Diagnostik, wie CT oder MRT, oft nur sehr schwer zu erkennen.

Widderkaninchen und das Tierschutzgesetzt: Eine klare Einstufung als Qualzucht

Das deutsche Tierschutzgesetz, insbesondere §11b, regelt eindeutig, unter welchen Bedingungen eine Tierzucht als Qualzucht gilt. Laut Gesetz ist es verboten, Wirbeltiere zu züchten, wenn bei den Nachkommen erblich bedingte Veränderungen auftreten, die zu Schmerzen, Leiden oder Schäden führen oder die Tiere in ihrer natürlichen Lebensweise einschränken.

Auszug aus §11b Absatz 1 TierSchG

„Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten [...] soweit züchterische Erkenntnisse erwarten lassen, dass als Folge der Zucht [...]

  1. Bei der Nachzucht [...] Köperteile oder Organe für den artgemäßen Gebraucht fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten, oder
  2. Bei den Nachkommen
    a. Mi Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten,
    b. Jeder artgemäße Kontakt mit Artgenossen [...] zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führt, oder
    c. Deren Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt.”

Quelle: §11b TierSchG – Gesetze im Internet

 

Vergleich mit den Merkmalen der Widderkaninchen

Widderkaninchen weisen mehrere zuchtbedingte Merkmale auf, die direkt unter diese gesetzlichen Kriterien fallen:

  • Umgestaltete Ohren: Die herabhängenden Schlappohren sind anatomisch verändert. Der Gehörgang ist abgeknickt und verengt, was zu chronischen Entzündungen, Schmerzen und sogar Hörverlust führt.
  • Eingeschränkte Kommunikation: Die Ohrstellung ist ein zentrales Element der Körpersprache bei Kaninchen. Widderkaninchen können ihre Ohren kaum bewegen, was zu Missverständnissen und sozialem Stress führt.
  • Verletzungsgefahr: Besonders bei Englischen Widdern kommt es durch die langen Ohren zu Verletzungen beim Hoppeln, durch Tritte oder durch Frostschäden. Diese führen oft zu tierärztlichen Behandlungen oder Amputationen.
  • Zahnerkrankungen: Die veränderte Kopfform führt zu einem erhöhten Risiko für Zahnfehlstellungen und schmerzhaften Zahnproblemen.

Fazit aus tierschutzrechtlicher Sicht:

Die Sachverständigengruppe des BMEL kommt in ihrem Gutachten zur Auslegung von §11b u dem Schluss, dass bei Widderkaninchen eine zuchtbedingte Umgestaltung des Sinnesorgans Ohr vorliegt, die mit erheblichen Einschränkungen der Funktion und damit mit Leiden verbunden ist. Damit erfüllen Widderkaninchen die Kriterien einer Qualzucht im Sinne des Tierschutzgesetzes.

Was Tierhalterinnen tun können

Wenn Sie ein Widderkaninchen halten, sollten Sie Folgendes beachten:

  • Regelmäßige tierärztliche Kontrollen, idealerweise bei einer Tierärztin, die sich gut mit Heimtieren auskennt
  • Gründliche Ohrenpflege, um Entzündungen vorzubeugen
  • Beobachtung des Verhaltens: Veränderungen wie Kopfschiefhaltung, Appetitlosigkeit oder Aggression können Hinweise auf Schmerzen sein
  • Artgerechte Haltung mit ausreichend Platz, Sozialkontakt und Beschäftigung

Außerdem: Bitte sehen Sie von einem Neukauf eines Schlappohr-Kaninchens ab. Nur wenn die Nachfrage sinkt, werden diese Tiere nicht mehr weitergezüchtet.

Fazit: Verantwortung statt Verniedlichung

So niedlich Widderkaninchen auch aussehen – ihre Zuchtmerkmale bringen erhebliche gesundheitliche Nachteile mit sich. Als Tierarztpraxis möchten wir Tierhalterinnen sensibilisieren: Wer sich für ein Widderkaninchen entscheidet, übernimmt eine besondere Verantwortung für dessen Gesundheit und Wohlbefinden.

Quellen, die mich beim Erstellen dieses Beitrags unterstützt haben und bei denen Sie sich gerne nochmal selbst tiefer informieren können:

1. Kaninchenwiese.de – Die Problematik der Widderkaninchen 

2. Thieme Vet – Qualzucht: Widderkaninchen

3. Qualzucht-Datenbank – Neue Studie: Schappohren bei Widderkanichen doch nicht so problematisch? 

4. Qualzucht-Datenbank – Merkplatt Kaninchen Typ Widder

5. Gesetze im Internet: §11b TierSchG

Sie haben Fragen zu unserem Blog? Wenden Sie sich gerne jederzeit persönlich an unser Team. Liebe Grüße, Ihre Tierärztin Johanna Kern

*Wir nutzen der Einfachheit halber in unseren Texten die weibliche Form, wir möchten dennoch alle Menschen (m/w/d) damit ansprechen.